Die Differenzierung stellt eines der zentralen Prinzipien einer zeitgemäßen Pädagogik dar. Sie bezieht sich auf die Anpassung des Unterrichts an die unterschiedlichen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Interessen der Lernenden. Ziel der Differenzierung ist es, allen Schülerinnen und Schülern eine möglichst individuelle Förderung zu bieten, sodass jeder nach seinen eigenen Voraussetzungen und in seinem eigenen Tempo lernen kann. Wir beleuchten die verschiedenen Aspekte der Differenzierung im Unterricht, erläutern die theoretischen Grundlagen und brechen es um für praxisnahe Ansätze zur Umsetzung im Kunstunterricht.
Definition und Bedeutung der Differenzierung
Differenzierung im Unterricht bezeichnet die bewusste und systematische Anpassung der Lehr- und Lernprozesse an die heterogenen Voraussetzungen der Lernenden. Dabei geht es nicht nur darum, auf unterschiedliche Leistungsniveaus einzugehen, sondern auch auf unterschiedliche Lernstile, Interessen und Vorerfahrungen. Durch Differenzierung wird die Chancengleichheit im Bildungsprozess gefördert, da alle Lernenden entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse gefördert werden können. Das Ziel der Differenzierung ist es, Lernhindernisse zu minimieren und das Lernen für alle Schülerinnen und Schüler erfolgreich und motivierend zu gestalten.
Der Kunstunterricht stellt ein besonders geeignetes Feld für differenzierte Unterrichtsgestaltung dar, da hier nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch bildnerische Ausdrucksmöglichkeiten und individuelle Interessen der Lernenden im Vordergrund stehen. Differenzierung im Kunstunterricht bedeutet, die vielfältigen Begabungen, Interessen und Lernstile der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und durch angepasste Aufgaben und Methoden zu fördern. In diesem Aufsatz soll die Differenzierung speziell im Kontext des Kunstunterrichts ausgeführt werden. Dabei werden verschiedene Dimensionen der Differenzierung und praxisorientierte Umsetzungen erläutert.
Formen der Differenzierung im Kunstunterricht
Kunstunterricht bietet zahlreiche Möglichkeiten zur Differenzierung, da Kreativität und ästhetisches Empfinden in sehr unterschiedlichen Formen zum Ausdruck kommen können. Die Schüler können in verschiedenen Techniken, Medien und Materialien arbeiten, wobei alle Lernenden individuelle Vorlieben, Stärken und Schwächen mitbringen. Differenzierung im Kunstunterricht zielt darauf ab, diesen Unterschieden gerecht zu werden und allen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, sich auf ihre Weise künstlerisch auszudrücken und zu entwickeln.
Es gibt verschiedene Formen der Differenzierung, die im Unterricht eingesetzt werden können. Grundsätzlich lassen sich diese in vier Hauptkategorien unterteilen:
- Differenzierung nach Leistungsniveau
- Differenzierung nach Lernstilen
- Differenzierung nach Interesse
- Differenzierung nach Lern- und Arbeitsgeschwindigkeit

Zu 1. Differenzierung nach Leistungsniveau
Im Kunstunterricht kann Differenzierung nach Leistungsniveau in verschiedenen Formen erfolgen. Eine Möglichkeit ist die Anpassung der Aufgabenstellung an das künstlerische Können der Lernenden. Schülerinnen und Schüler, die bereits eine hohe Kompetenz im Umgang mit bestimmten Techniken (z.B. Aquarellmalerei, Skulpturenbau) haben, können herausforderndere Aufgaben erhalten, die komplexere Techniken oder eine tiefere Auseinandersetzung mit Themen verlangen. Schülerinnen und Schüler, die in der Bildgestaltung weniger Erfahrung haben, können mit einfacheren Aufgaben, wie z.B. der Skizzierung von Formen oder der Arbeit mit grundlegenden Materialien, beginnen.
Ein weiterer Ansatz ist das Angebot von differenzierten Materialen und Techniken. Schülerinnen und Schüler mit höherer Erfahrung und Selbstständigkeit im bildnerischen Prozess können neue und somit ggf. anspruchsvollere Materialien und Werkzeuge verwenden (z.B. Ölkreiden, Kohle, Mischtechniken), während weniger erfahrene Schüler mit bewährten und ggf. leichter handhabbaren Materialien arbeiten (wie z.B. Buntstiften oder Acrylfarben).
Zu 2. Differenzierung nach Lernstilen
Da Menschen unterschiedliche Lernstile haben, kann der Kunstunterricht durch die Auswahl verschiedener Medien und Arbeitsmethoden differenziert werden. Einige Schülerinnen und Schüler bevorzugen visuelle Lernansätze, andere arbeiten eher kinästhetisch, indem sie aktiv in den bildnerischen Prozess eintauchen. Der Kunstunterricht kann durch unterschiedliche Ansätze, wie das Arbeiten mit digitalen Medien, Collagen, bildnerischen Techniken, Skulpturen oder auch durch Performance und darstellende Kunst, so gestaltet werden, dass alle Lernenden ihre bevorzugte Art der Auseinandersetzung entdecken können.
Ein Beispiel für die Differenzierung nach Lernstilen wäre die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler eine Aufgabe auf verschiedene Weisen umsetzen. Während ein Lernender ein Bild mit Aquarellfarben gestaltet, könnte ein andere Schülerin dieselbe Aufgabe in Form eines digitalen Kunstwerks, einer Collage oder sogar durch eine plastische Skulptur bearbeiten. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Vorlieben und Stärken berücksichtigt werden.
Praktisch gesehen gibt es hier zwei Optionen:
Entweder arbeiten alle Kinder oder Jugendliche zu einem bestimmten Thema und ihnen ist die Technik zu weiten Teilen frei gegeben
oder man schafft ganze Sequenzen, in denen die Schülerinnen und Schüler frei ihre Themen und ihre bildnerischen Techniken selbst aussuchen.
Dies entspricht dann auch der folgenden Differenzierung nach Interessen.
Zu 3.: Differenzierung nach Interessen
Kunstunterricht bietet besonders viele Gelegenheiten, Schülerinnen und Schüler nach ihren individuellen Interessen zu differenzieren. Das Einbringen persönlicher Themen und Ausdrucksweisen kann die Motivation und das Engagement der Lernenden erheblich steigern. Schülerinnen und Schüler, die sich für bestimmte Themen interessieren – sei es Natur, Mode, abstrakte Kunst oder gesellschaftliche Themen – können diese Themen in ihre Arbeiten einfließen lassen. Lehrkräfte können Aufgaben so gestalten, dass sie einen gewissen Freiraum für individuelle Themenwahl bieten.
Ein Beispiel könnte eine Malaufgabe sein, bei der die Schülerinnen und Schüler ein Thema aus ihrer eigenen Lebenswelt oder Kultur wählen, um es bildnerisch darzustellen. Grundsätzlich sollte die Grundidee vorherrschen: Wenn ein Thema vorgegeben ist, werden weitgehende Freiheiten bei der Wahl der bildnerischen Technik gewährt – Wenn eine bildnerische Technik vorgegeben ist, werden weitgehende Freiheiten bei der Wahl des Motivs gewährt.
Zu 4.: Differenzierung nach Lern- und Arbeitsgeschwindigkeit
Im Kunstunterricht ist es wichtig, dass Lernende in ihrem eigenen Tempo arbeiten können. Einige Schüler benötigen möglicherweise mehr Zeit, um eine Technik zu erlernen oder ein Konzept zu verstehen, während andere schneller durch den Prozess gehen. Eine differenzierte Herangehensweise kann darin bestehen, dass den Lernenden die Freiheit gegeben wird, in ihrem eigenen Tempo zu arbeiten. Das bedeutet auch, dass schnellere Lerner zusätzliche Herausforderungen erhalten können, wie z.B. die Erweiterung des Werkes oder die Einführung anspruchsvollerer Techniken. Langsamere Lernenden erhalten zusätzliche Zeit oder Hilfestellungen, etwa durch individuelle Beratung oder vereinfachte Aufgabenstellungen.
Ein konkretes Beispiel ist, dass Schülerinnen und Schüler, die eine Technik schneller beherrschen, dazu angeleitet werden, ihre Arbeiten zu verfeinern oder mit mehreren Medien zu kombinieren, während Kinder/ Jugendliche, die mehr Zeit brauchen, grundlegende Techniken noch einmal intensiv üben können.
Praktische Umsetzungen der Differenzierung im Kunstunterricht
Es gibt die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler bereits von der Anlage von Kunstunterricht von den Chancen auf Differenzierung profitieren. Solche Unterrichtsformen/ -komponenten sind:
- Wahlaufgaben und Projektarbeit
- Lernstationen
- Portfolio-Arbeit/ Skizzenbuch
- Gruppenarbeit und kooperatives Lernen
- Werkstatt
- Feedback und individuelle Unterstützung
Zu 1.: Wahlaufgaben und Projektarbeit
Eine Möglichkeit, Differenzierung im Kunstunterricht umzusetzen, ist durch Wahlaufgaben oder Projektarbeit. In einem Projektrahmen können die Schülerinnen und Schüler ihre Themen frei wählen und ihre eigenen bildnerischen Ideen und Techniken entwickeln. Dies erlaubt es, unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten zu berücksichtigen und fördert gleichzeitig die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler.
Zu 2.: Lernstationen/ digitale Medien
Ein weiteres praktisches Modell ist die Arbeit mit Lernstationen. An verschiedenen Stationen können die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Techniken und Materialien ausprobieren – von Zeichnen und Malen über plastisches Gestalten bis hin zur digitalen Kunst. Diese Vielfalt an Optionen spricht verschiedene Lernstile und Leistungsniveaus an und ermöglicht es, den Lernprozess individuell zu gestalten. Auch bei der Begegnung mit Kunst können Stationen die Chance auf Orientierung an verschiedenen Interessen und unterschiedlichen Lern- und Arbeitsgeschwindigkeiten eröffnen.
Der Einsatz von digitalen Medien ermöglicht es Lehrkräften, differenzierte Materialien und Aufgaben leicht anzubieten. Lernplattformen, Apps und digitale Lernhilfen bieten den Vorteil, dass Schülerinnen und Schüler individuell arbeiten können, sodass der Unterricht stärker auf ihre Bedürfnisse abgestimmt wird.
Zu 3.: Portfolio-Arbeit / Skizzenbuch
Die Portfolio-Arbeit ist eine Methode, die Differenzierung im Kunstunterricht unterstützt. Schülerinnen und Schüler können über einen längeren Zeitraum hinweg ihre Werke dokumentieren, reflektieren und weiterentwickeln. Durch die Portfolio-Arbeit können individuelle Fortschritte besser nachvollzogen und die Lernziele an die jeweiligen Bedürfnisse der Schüler angepasst werden. Selbstverständlich kann die Dokumentation der Prozesse auch über das Führen eines Skizzenbuchs erfolgen.
Zu 4.: Gruppenarbeit und kooperatives Lernen
In heterogenen Klassen kann Differenzierung durch die gezielte Bildung von Arbeitsgruppen erfolgen. Dabei können Gruppen so zusammengesetzt werden, dass sowohl leistungsstärkere als auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten. Kooperatives Lernen fördert den Austausch von Ideen und bietet den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, voneinander zu lernen.
Zu 5.: Werkstatt
Werkstattunterricht im Kunstunterricht ist eine offene und flexible Lehrmethode, bei der Schülerinnen und Schüler selbstgesteuert und eigenverantwortlich bildnerische Projekte bearbeiten. Diese Unterrichtsform ermöglicht eine individuelle Auseinandersetzung mit Materialien, Techniken und Themen und fördert bildnerisches Denken sowie handlungsorientiertes Lernen. Die Lehrkraft gibt dabei lediglich die Rahmen vor und hat dann die nötigen Freiräume, um die Kinder/ Jugendliche bei ihren Projekten zu beraten. Die Arbeit der Schülerinnen und Schüler erfolgt dabei selbstdifferenziert.
Zu 6.: Feedback und individuelle Unterstützung
Differenzierung im Kunstunterricht erfordert auch eine kontinuierliche Rückmeldung und individuelle Unterstützung. Regelmäßiges Feedback über den bildnerischen Prozess und die Entwicklung der Arbeiten der Kinder und Jugendlichen ist entscheidend, um den Lernenden gezielte Hilfestellung zu geben. Dabei können die Lehrerinnen und Lehrer auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen und gezielte Anregungen für die Weiterarbeit bieten.
Differenzierung mag zunächst nach mehr Arbeit für die Lehrkraft aussehen. Doch bringt sie motivierte Schülerinnen und Schüler mit sich, wodurch die Arbeit für die Lehrkraft im Unterricht deutlich verringert wird. Wer das interessensorientierte Arbeiten nach eigenen Geschwindigkeiten der Kinder und Jugendlichen zum Prinzip des eigenen Kunstunterrichts erklärt, hat die meisten Möglichkeiten zur Differenzierung bereits genutzt.
