ERFAHRUNGSVERANKERTE REZEPTION –THEMA ZEIT: MICHEL

Redaktionelle Information: Das zu rezipierende Werk „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ (1919/1920) von Robert Michel liegt in der Mappe 48/2000 des Neckar-Verlages als sehr gute Reproduktion vor. Die Mappe beinhaltet zudem vertiefende Informationen zum Künstler.

[Dorothee Schmidt]

Zeit ist ein sehr facettenreiches Thema, welches von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus betrachtet werden kann und daher eine große Bandbreite an Möglichkeiten bezüglich der bildnerischen Umsetzung sowie der werkbezogenen Rezeption bietet.

Sachdarstellung

Alte Geburtsurkunde zur Einführung ins Thema >Zeit<

Zeit ist unendlich, unaufhaltsam, unumkehrbar und bestimmt unser Leben in vielerlei Hinsicht. Sie kann als eine physikalische Größe bezeichnet werden, die sich in Sekunden, Minuten und Stunden einteilen lässt und durch Uhren gemessen sowie besser begreifbar gemacht werden kann. Des Weiteren lässt sie sich auch als ein abstraktes menschengemachtes Konstrukt beschreiben, das in die Abschnitte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingeteilt wird. Zeit ist zudem sehr subjektiv und wird individuell wahrgenommen. Dabei unterscheidet sich das Zeitempfinden je nach Alter und Situation.

Das Thema Zeit begegnet uns ebenso in der Literatur und in der Kunst immer wieder auf verschiedene Art und Weise. Der Schriftsteller Thomas Mann nähert sich auf eine philosophische Weise dem Thema an[1] und auch in Marcel Proust setzt sich in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ mit dem Thema Zeit auseinander. Eines der bekanntesten Werke aus der bildenden Kunst ist in diesem Zusammenhang das surrealistische Gemälde „Die Beständigkeit der Erinnerung“ von Salvador Dalì. Doch auch andere Künstler*innen schufen Werke, in denen Zeit eine zentrale Rolle spielt.

Einen sehr technisch geprägten Zugang zum Thema hatte der deutsche Künstler Robert Michel, dessen Werk „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ im Mittelpunkt des Rezeptionsteils der dargestellten Unterrichtssequenz steht. Robert Michel wurde 1897 im Taunus in der Nähe von Frankfurt geboren und hatte, da seine Eltern eine Schmelzhütte führten, schon in seiner Kindheit Kontakt mit Maschinen und Motoren. Dies trug zu seiner Begeisterung für Technik bei, schürte den Wunsch Maschinenbauingenieur zu werden und hatte großen Einfluss auf die Motivwahl seiner späteren Werke. Im Alter von 15 Jahren lernte Robert Michel den Flugzeugkonstrukteur August Euler kennen, dessen Namen auch in der Bildreihe „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ zu finden ist.

Aufgrund dieses Zusammentreffens begeisterte sich Michel für das Fliegen und war daraufhin im Ersten Weltkrieg als Versuchspilot tätig.[2] Als ein weiteres „Schlüsselerlebnis“ kann Michels Flugzeugabsturz von 1916 bezeichnet werden, welches er in zahlreichen Werken, wie zum Beispiel in der Collage „Die Große Uhr“, zu verarbeiten versuchte[3]. Da sich das Lazarett, in dem er nach dem Absturz lag, im Gebäude der Großherzoglichen Sächsischen Kunstschule befand, begann Michel mit 21 Jahren Kunst zu studieren. Er beschäftigte sich schon früh mit dem Expressionismus sowie mit dem Dadaismus. Da er freier arbeiten wollte, als in der Kunstschule vorgesehen, wurde er aus dieser entlassen. In den Folgejahren entstanden unzählige Collagen und Materialbilder, in denen er versuchte Wissenschaft, Technik und Kunst zu verbinden. In dieser Schaffensphase schuf Michel das Werk „MEZ- Mitteleuropäische Zeit“.

Es handelt sich um eine Folge von vier Holzschnitten, die jeweils eine ungefähre Größe von 46x37cm aufweisen. Sie entstanden 1919/20 und derzeit im Sprengel Museum in Hannover ausgestellt. Der Bezug zum Thema Zeit ist aufgrund der dargestellten Zeiger, Zahnräder und Zahlen schon auf den ersten Blick zu erkennen. Die technischen Elemente wirken sehr dynamisch, wenn auch die einzelnen Teile nicht zu tatsächlich funktionierenden Uhren oder Maschinen zusammengesetzt sind.[4] Anders als beispielsweise in der Collage „Schützenfest“, welche im Folgejahr entstand, sind keine Zifferblätter zu erkennen.

Die angewandte Technik des Holzschnitts war für Michel während des Schaffensprozesses der Werke „nur sekundär. [Vielmehr wollte er] Analog [zu] bereits erlebt[en] technisch-maschinelle[n] Gießerei-Fertigungsprozesse[n]“[5] arbeiten. Dabei verwendete er Lindenholz und bearbeitete sowohl die Vorder-, als auch die Rückseite. Gedruckt wurden die Holzschnitte anschließend auf Altpapier oder Japanpapier. Später arbeitete der Künstler auch mit farbigen Papieren und fertigte Umkehrdruckte an.[6]  

Bei der Technik des Holzschnittes handelt es sich um ein Hochdruckverfahren. Somit werden, anders als bei Tiefdruckverfahren, die Flächen, die im späteren Druck weiß sein sollen, aus dem Druckstock herausgeschnitten und die hoch stehenden Elemente eingefärbt.[7] Der Druckstock für den Holzschnitt wird aus Holz, wie zum Beispiel Birne, Linde oder Buchsbaum gefertigt, als Schneidewerkzeug wird ein Messer oder ein Flach- bzw. Hohleisen verwendet. Nachdem der Druckstock bezeichnet und bearbeitet ist, wird dieser mit Buchdruckerschwärze oder anderer Hochdruckfarbe eingefärbt und anschließend mit Hilfe einer Druckerpresse, Druckerwalze oder mittels Handabrieb abgedruckt.  

Als Pionier des Holzschnitts gilt heute vor allem Albrecht Dürer, welcher sich durch seine sehr detailreichen Werke, wie beispielsweise „Die Apokalyptischen Reiter“, auszeichnet.[8]

Robert Michel lebte in einer von Neuanfängen und Aufbruch geprägten Zeit.[9] Durch die dort stattfindende Verfassungsgebende Nationalversammlung spielte vor allem die Stadt Weimar eine zentrale Rolle. Für Michel, den „Pionier[…] der Bildcollage“[10], stellte sie den „Mittelpunkt werdender Dinge“[11] dar und beeinflusste folglich die Titelgebung des Werkes „MEZ- Mitteleuropäische Zeit“. Darüber hinaus findet sich das Datum der Unterzeichnung der Weimarer Verfassung im Werk wieder. Für Michel war die Kunst stets eine Möglichkeit, die Zeit nach dem 2. Weltkrieg mitzugestalten. Er musste im Laufe seines Lebens allerdings auch Rückschläge hinnehmen: Da seine Werk 1933 als „entartet“ eingestuft wurden und er aus der „Reichskulturkammer“ ausgeschlossen wurde, musste er ein Ausstellungsverbot hinnehmen. Zudem wurde bei einem Bombenangriff ein großer Teil seiner Werke zerstört. In den 1960er und 1970er Jahren kam es jedoch zur Wiederauflage seiner Holzschnitte. Robert Michel starb 1983.[12]

Sequenzablauf

Bei der Überführung des Werkes „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ von Robert Michel in eine gestalterische Praxis wird das Thema Zeit als Schnittstelle gewählt. Dabei erfolgt die Annäherung an dieses vielschichtige Thema über eine theoretische und diskursive Auseinandersetzung. Anschließend werden die zuvor eigenständig und individuell erarbeiteten Ideen umgesetzt. Nach der praktischen Phase bietet sich eine Begegnung mit Robert Michels „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ und die Vorstellung dessen an. Daran anknüpfend wird auf die Biographie des Künstlers eingegangen und weitere Arbeiten vorgestellt. Abschließend kann auf Werke von Künstler*innen, die sich ebenfalls mit dem Thema Zeit auseinandergesetzt haben, eingegangen werden.

Bildnerische Praxis zum Thema: Zeit

  • Einführung: Tonmaterial (z.B. Uhrengeräusche)  zum Thema Zeit
  • Erraten des Themas und Diskurs (eventuell Spiel zu Annäherung)
  • Ideenfindung zur Bildnerischen Umsetzung
  • Realisierung
  • Besprechung

    Rezeption des Werkes „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“ von Robert Michel
  • Annäherung über das Thema Zeit
  • Werkbetrachtung + Bestimmung
  • Informationen zum Künstler
  • Informationen zum Werk + Technik
  • Erweiterung um  weitere Werke Michels und/ oder andere Werke zum Thema Zeit

    Präsentation

 

Bildnerische Produkion zum Thema Zeit

Der Einstieg in das Thema Zeit erfolgt durch eine akustische Annäherung. Hierfür eignet sich das Vorspielen unterschiedlicher Uhrengeräusche. Im Anschluss werden mitgebrachte Gegenstände gezeigt, die das Interesse der Kinder wecken, wie zum Beispiel verschiedene Uhren, Zeitungen oder alte Dokumente. Die Kinder beschreiben die Objekte und teilen ihre Assoziationen. Im Anschluss soll versucht werden das Thema zu benennen. Daran anschließend wird ein Diskurs eingeleitet, um sich dem Thema Zeit weiter anzunähern und die individuelle Auseinandersetzung und Ideenfindung voranzubringen. Es bietet sich an, sehr unterschiedliche Richtungen und Bereiche zu besprechen, um die Bandbreite der möglichen Themenfelder für die spätere praktische Umsetzung aufzuzeigen. Im Diskurs kann unter anderem auf die Frage eingegangen werden, was Zeit eigentlich ist und wie sie sich messen lässt. Außerdem kann über Tagesabläufe, Jahreszeiten und das Älterwerden gesprochen werden. Des Weiteren bietet es sich an, über die Frage zu sprechen, ob man lieber in die Zukunft oder die Vergangenheit reisen würde und wie man sich das Leben in der Zukunft vorstellt.  

Besonders interessant ist es, zu diskutieren, wann für die Kinder die Zeit besonders schnell oder sehr langsam vergeht und ob sie Zeit eher als Kreis oder als Linie darstellen würden. Je nach Altersstufe sind verschiedene Dimensionen der theoretischen Annäherung an das Thema möglich. Bei jüngeren Kindern kann der Bezug auch über ein Spiel erfolgen. Beispielsweise kann sich über den Versuch zu schätzen wie lange eine Minute ist, mit dem eigenen Empfinden der Zeit auseinandergesetzt werden. Die Kinder schließen die Augen und öffnen diese wieder, wenn sie der Ansicht sind, dass eine Minute vergangen ist. Die Ideen und Diskussionsergebnisse werden gesammelt an der Tafel festgehalten. Auf Grundlage der Diskussion werden je nach individuellem Interesse der Kinder Konzepte für die bildnerische Umsetzung erarbeitet und Skizzen erstellt. Insofern es möglich ist, wird den Kindern die Form der gestalterischen Praxis freigestellt. Es bietet sich an, auf schon bekannte künstlerische Techniken zurückzugreifen. Die vorhandenen Materialien und möglichen Techniken werden dabei im Vorhinein besprochen und zusammengetragen. Die praktische Umsetzung erfolgt mit Begleitung und Hilfestellung durch die die sequenzhaltende Person. Gemeinsames Reflektieren vor und während der Arbeitsphase, eventuell auch in Kleingruppen, und das damit verbundene Aussprechen und Formulieren der eigenen Ideen, hilft dabei, diese zu konkretisieren.

Nach der Arbeitsphase werden die Arbeiten und der vorangegangene Fertigungsprozess im Plenum besprochen und auf eventuell eingetretene Probleme eingegangen.

Schülerinnenarbeit >Mensch in der Zukunft<

Rezeption des Werks „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“  von  Robert Michel

Nachdem sich die Schülerinnen und Schüler selbst theoretisch und bildnerisch mit dem Thema auseinandergesetzt haben, erfolgt die Rezeption des Werkes. Die Kinder erkunden das Werk mit allen Details und beschreiben es anschließend differenziert. Der Zugang zum Werk gelingt mühelos, da sich die Schülerinnen und Schüler zuvor intensiv und eigenständisch mit dem Thema auseinandergesetzt wurde. Außerdem sollten rasch Unterschiede und eventuelle Gemeinsamkeiten zu den eigenen Werken auffallen und die technische Dimension des Werkes von Robert Michel deutlich werden. Nach und während einer erneuten fokussierten Betrachtung des Werkes, wird auf die Biographie des Künstlers Bezug genommen. Dabei bietet sich je nach Altersstufe an, die entsprechenden Informationen mündlich vorzutragen, oder die Kinder die Informationen selbst erarbeiten zu lassen. Im Anschluss an eine gemeinsame Interpretation und Einordnung des Werkes „MEZ-Mitteleuropäische Zeit“, erfolgt die Beschäftigung mit der Technik des Holzschnittes und dessen Einordnung als Hochdruckverfahren im Gegensatz zu anderen Druckverfahren.

Dabei können je nach zeitlicher Kapazität und Alter der Schülerinnen und Schüler entweder theoretische Aspekte vertieft werden oder ein eigenständiges Ausprobieren des Holzschnitts erfolgen. Bei Letzterem bietet es sich an, auf leichter umsetzbare Druckstöcke, wie EasyPrint oder Linolschnitt zurückzugreifen.

Zum Schluss ist es sinnvoll, auf weitere Werke Robert Michels, wie “Die Große Uhr“, „Schützenfest“ oder „Mann-es-Mannbild“ einzugehen und diese mit dem zuvor betrachteten Werk zu vergleichen. Außerdem können Werke anderer Künstler*innen, wie „Die Beständigkeit der Erinnerung” von Salvador Dalì oder “Stillleben mit Glaskugel” von Pieter Claesz, besprochen werden. Auf diese Weise erfolgt eine Vertiefung der Rezeption von Werken zum Thema Zeit.

Präsentation

Um die Sequenz abzuschließen und zu reflektieren, werden Informationstafeln erstellt. Diese tragen die Ergebnisse des anfänglichen Diskurses über das Thema Zeit und Informationen zu Robert Michel sowie zu seinem Werk zusammen. Die in der Produktionsphase entstandenen Werke werden in einer Ausstellung präsentiert. Es bietet sich an die Arbeiten mit einfachen Mitteln, wie Schnur und Klammern oder große Nadeln an den Wänden zu befestigen und Beschriftungskärtchen, die den Titel des Werkes und den Namen des Kindes zeigen, erstellen zu lassen.

Im Zuge einer Vernissage stellen sich die Kinder abschließend gegenseitig ihre Werke vor.


[1] Vgl. Kesting 2016

[2] Vgl. Schuster o.J.

[3] Vgl. Salzmann 1988, S. 7ff

[4] Vgl. Schuster o.J.

[5] Michel 1966, S. 168

[6] Vgl. Michel 1966, S. 168

[7] Vgl. Koschatzky 1972, S.39

[8] Vgl. Pietzcker 2022; Friedländer 1926, S. 3f

[9] Vgl. Reising-Pohl 1988, S.12ff

[10] Salzmann 1988, S. 4

[11] Schuster o.J.

[12] Vgl. Schuster o.J.