[Emma Haas]
Was wir Menschen essen und wie wir dabei unser Essverhalten gestalten wird mit aufkommenden Trends der letzten Jahrzehnte zunehmend relevanter für uns und unser soziales Umfeld. Dabei spielen die Thematiken wie Essstörungen, gesunde Ernährung und umweltbewusstes bzw. nachhaltiges Essen und Konsumieren (Bio, vegan etc.) eine zentrale Rolle. Die Verbindung von Essen und Kunst hat eine lange Tradition, jedoch unterliegt die Darstellungsweise einem fortschreitenden Wandel.

Sachdarstellung
Die Darstellung von Lebensmitteln beispielsweise in Stillleben oder eine andere Form der Thematisierung von Essen gehört keinesfalls zu den Hauptwerken von Annibale Carracci (1560 – 1609), der um 1580/90 den „Bohnenesser“ mit Öl auf Leinwand malte. Dennoch ist seine Darstellung des „Bohnenessers“ gerade im Kontext der Genre-Malerei revolutionär. Zu sehen ist ein Mann, vermutlich ein Bauer oder Landarbeiter, welcher hinter einem gedeckten Tisch sitzt und Bohnen isst. Der englische Begriff „low-life painting“[1] deutet schon darauf hin, dass es bei dieser Form der Malerei um die Abbildung alltäglicher und banaler Situationen geht, meistens auf die unteren sozialen Schichten oder Berufsgruppen bezogen. Diese Darstellungsweise geht häufig mit Ablehnung, Spott und einer gewissen Ironie einher. Davon unterscheidet sich dieses Werk allerdings signifikant, denn „the Beaneater in spite of its genre, is not a joke, it’s communication not ironic“[2]. „Der Bohnenesser“ ist also nicht bloß die ironische Darstellung von Alltäglichem, sondern ein Ausdruck guter Beobachtungsgabe, Genauigkeit und Unmittelbarkeit der abgebildeten Situation. Es ist ein künstlerisches Statement, zurückzuführen auf Annibale Carraccis Abstammung aus einer Handwerksfamilie und seine lebenslang damit einhergehende Ablehnung der oberen Schichten.[3] Man sagt ihm nach, er hegte den Drang, sich mit den „niedrigsten und verachtetesten Formen der manuellen Arbeit“[4] zu beschäftigen, was für ihn bedeutete beispielsweise Straßenkehrer, Schornsteinfeger und Totengräber bei ihrer mühseligen täglichen Arbeit abzubilden[5]. Annibale Carracci prägte die Genre-Malerei mit seinem Werk „Der Bohnenesser“ nachhaltig. Durch dessen visuelle und psychologische Unmittelbarkeit verhalf er dem low-life painting seine ursprüngliche Funktion hinter sich zu lassen und zu einem Vehikel für bedeutenden menschlichen Inhalt zu werden.[6]
Sequenzablauf
Als Schnittstelle zwischen dem Werk „Der Bohnenesser“ von Annibale Carracci und der gestalterischen Praxis der Schülerinnen und Schüler wurde hier das Thema „Essen“ bzw. die Frage danach gewählt, „was wir essen“ und „wie wir essen“. Die Kinder der 3. Klasse nähern sich dem Thema über das gemeinsame Frühstück an und gehen nach einer gemeinsamen Ideensammlung in die bildnerische Produktion über. Diese wird von der Lehrkraft begleitet. Nach einer Besprechung der entstandenen Werke, sowie Anmerkungen über Schwierigkeiten bzw. Auffälligkeiten bei der Umsetzung folgt die Annäherung an das Werk „Der Bohnenesser“ mit Bezug zu den eigenen Arbeiten. Anschließend werden der Künstler und weitere Werke zum Thema vorgestellt, um schließlich ein umfangreiches Gesamtbild über Annibale Carracci und dessen Schaffen skizzieren zu können.

Ästhetische Praxis
– Einführung: Gemeinsames Frühstück
– Gespräch und Ideensammlung
– Entwerfen der Ideen zur bildnerischen Umsetzung
– Realisierung, eigenständige bildnerische Praxis
– Abschließende Besprechung/ Reflexion, Vorstellung der entstandenen Werke
Rezeption „Der Bohnenesser“ von Annibale Carracci
– Werkbegegnung/ Annäherung über das Thema „Essen“
– Bezug zu eigenen Werken
– Annibale Carracci, Biografie und Oeuvre
– Interpretation/ Bildumgang
– Erweiterung um andere Werke zum Thema
Präsentation
Präsentation in der Mensa

Bildnerische Produktion zum Thema: Was essen wir und wie essen wir?
Als Anfangsimpuls dient das gemeinsame Frühstück im Klassenverband, bei dem eine erste Themenbegegnung erfolgt. Dies soll für die Schülerinnen und Schüler ein Anreiz sein, über ihr mitgebrachtes Essen zu reden und sich auszutauschen. Der individuelle Lebensbezug steht hier im Vordergrund und wird durch das Gespräch mit anderen erweitert. Was bedeutet Essen für jeden Einzelnen? Was isst jede/r Einzelne gerne, was weniger? Isst man lieber allein oder gemeinsam mit anderen? Die Schülerinnen und Schüler können Verbindungen zwischen den Essgewohnheiten der verschiedenen Familien herstellen und reflektieren. Die Komplexität einer Diskussion über gesellschaftliche und die Umwelt betreffende Aspekte des Themas „Essen“ orientiert sich am Vorwissen der Schülerinnen und Schüler. Es werden verschiedene Aspekte, wie Fleischkonsum, Esskultur und gesunde Ernährung thematisiert und in die Diskussion mit einbezogen. Dabei können die Kinder eigene Idealvorstellungen, aber auch Kritik an bestehenden Umständen (Wegwerfgesellschaft, Fleischkonsum, ökologischer Fußabdruck) äußern. Im Anschluss an die nähere Auseinandersetzung mit dem Thema folgt die Überleitung zur Phase der Ideenfindung. Hier entwickeln die Schülerinnen und Schüler auf Grundlage des vorangegangenen Gespräches Ideen für eine bildnerische Umsetzung des Themas. Auch diese Phase kann in der Gruppe bewältigt werden.
Um die Formen der gestalterischen Praxis möglichst frei zu stellen, können diverse Materialien eingesetzt werden. Die Materialien (Kartonagen, Papiere, Farben…), die für die Umsetzung verwendet werden können, stehen in Kisten zur Verfügung. Die Lehrkraft stellt zudem weitere Materialien wie verschiedene Maluntergründe, Farben, Kameras und Materialien zur plastischen Gestaltung (z.B. Knete) bereit. Die Schülerinnen und Schüler besitzen darüber hinaus selbst eigene Stifte, verschiedenfarbige Papiere und Wasserfarben. In einer ersten Phase (siehe Bilder von Arbeiten von Schülerinnen und Schüler einer 3. Jahrgangsstufe) entwerfen die Schülerinnen und Schüler ihr Bilder. Nach einer Besprechung durch die Lehrkraft setzen die Schülerinnen und Schüler ihre entwickelten Ideen in einer anschließenden Arbeitsphase um.
Die Aufgabe der Lehrkraft ist, die Entscheidungsfindung der Kinder für die Umsetzung der Bildidee zu begleiten. Die Schülerinnen und Schüler reflektieren ihre Einfälle und festigen ihre Ideen. Es wird darauf geachtet, dass die Schülerinnen und Schüler nicht unter Druck arbeiten und alle die zur Umsetzung notwendige Zeit zur Verfügung erhalten. Diejenigen, die besonders schnell arbeiten, können mehrere Umsetzungsmöglichkeiten zum Thema ausprobieren.
Wichtige Aspekte der individuellen Besprechungen, sowie mögliche Schwierigkeiten oder Beobachtungen bei der Umsetzung werden im Anschluss an die künstlerische Praxis im Plenum aufgegriffen. Die entstandenen Werke werden der Klasse vorgestellt und der Bezug zum Thema erläutert.
Rezeption des Werks „Der Bohnenesser“ von Annibale Carracci
Das Werk von Annibale Carracci wird den Schülerinnen und Schülern gezeigt. Der Zugang zu dem Werk fällt den Kindern aufgrund der vorangegangenen gestalterischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Essen“ nicht allzu schwer.
Das Bild wird von den Schülerinnen und Schülern beschrieben, wobei nicht nur die Essenssituation, sondern auch der gesellschaftliche Stand des essenden Mannes, also des Bohnenessers, schnell erkannt wird. Das Werk wird auf weitere Hinweise erkundet und die zu betrachtende Situation mit Hinblick auf das zentrale Thema analysiert. Die Speisen, die auf dem Tisch vor dem Bohnenesser abgebildet sind, werden im direkten Vergleich zu den zuvor angefertigten Arbeiten der Kinder betrachtet. Gibt es Überschneidungen in der Darstellung der Kinder und der von Annibale Carracci? Worin unterscheiden sich die abgebildeten Speisen? Die Kinder nehmen an dieser Stelle Bezug zum Eingangsgespräch, bei dem festgestellt wurde, dass bestimmte Speisen auch eine Frage des Geldes und der Privilegien sind. Sowohl das angerichtete Essen, als auch die Kleidung des essenden Mannes deuten darauf hin, dass es sich hierbei um einen Bauern handelt. Lebensmittel wie Bohnen und Brot sind günstig und machen schnell satt. Die Kleidung erkennen die Schülerinnen und Schüler als schlicht, unauffällig und abgenutzt. Zu der zentralen Frage danach, was wir essen und wie wir das tun, kann hier das warum ergänzt werden. Weil wir Hunger haben und Essen zum Überleben brauchen – so wie der Mann auf dem Bild. Er erscheint nicht wie jemand, der viel Auswahl hat, bei der Wahl seines Essens.
Anschließend an diese kurze Charakterisierung des Bohnenessers, wird den Kindern ein Selbstbildnis des Künstlers Annibale Carracci gezeigt. Schnell fallen den Schülerinnen und Schülern bestimmte Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern auf. Die Ideen und Anmerkungen werden gemeinsam in der Klasse besprochen. Auffällig ist, dass beide Männer sehr schlicht, in erdigen Farben gekleidet sind. Passend zur jeweiligen Oberbekleidung tragen beide einen abgenutzten Hut auf dem Kopf. Auch die Gesichtsbehaarung betreffend ähneln sich die beiden Männer. Das veranlasst die Kinder Rückschlüsse auf Annibale Carraccis Herkunft zu ziehen, welcher, ähnlich wie der Bohnenesser, aus einer Handwerksfamilie abstammt. Diese Feststellung dient als Überleitung zu einer kurzen biografischen Skizzierung von Annibale Carraccis Leben sowie zu einem ausschnitthaften Überblick über sein Werk. Über Bilder des Künstlers selbst, seines Herkunftsorts Bologna und weitere Werke z.B. auch seiner Altarbilder), ergibt sich nach und nach ein umfassendes Gesamtbild für die Schülerinnen und Schüler.
An dieser Stelle bietet sich noch einmal ein kurzer Rückbezug zu dem zuvor besprochenen Werk „Der Bohnenesser“ an. Es kann jetzt mit den zusätzlichen Informationen verknüpft und in Annibale Carraccis Gesamtwerk eingeordnet werden.
Präsentation
Mithilfe der an der Tafel festgehaltenen Informationen und den mitgebrachten Bildern zu Annibale Carracci werden Plakate gestaltet, die die zuvor erstellten Arbeiten der Schülerinnen und Schüler ergänzen. Beim Gestalten der Plakate mit Bild und Text werden die wichtigsten Aspekte der Unterrichtssequenz noch einmal selbstständig wiederholt und somit das angeeignete Wissen gefestigt. Die Präsentation der Plakate und Werke der Kinder erfolgt thematisch passend in der Cafeteria des Schulgebäudes.
[1] Alt 1983, S. 1
[2] Alt 1983, S. 1
[3] Vgl. Zapperi 1990, S. 53
[4] Zapperi 1990, S. 50
[5] Vgl. Zapperi 1990, S. 50
[6] Vgl. Alt 1983, S. 3
Literatur
Alt, Winston Drew (Hg.): Development in the art of Annibale Carracci. Harvard University 1983
Zapperi, Roberto (Hg.): Annibale Carracci: Bildnis eines jungen Künstlers. Berlin 1990